In einer Gesellschaft, in der alle davon besessen sind, die*den Eine*n zu finden, in der so gut wie jeder Film, jede Serie, und jedes Buch eine romantische Storyline erzählen muss, und in der der Tag der Hochzeit für viele der wichtigste im Leben ist, bleibt wenig Platz für aromantische Menschen. Doch warum hat romantische Liebe überhaupt diesen besonderen Stellenwert? Wegen eines kleinen Problemchens namens Amatonormativität. Amatonormativität ist die Annahme, dass eine zentrale, exklusive Liebesbeziehung normal für Menschen ist, in dem Sinne, dass sie ein universelles Ziel ist und Vorrang vor anderen Beziehungsformen hat (Brake 2012). Hierdurch werden Polyamorie, Freundschaften und andere nicht-romantische Beziehungen abgewertet. Mehr noch: Die Existenz von Menschen, die keine romantische Beziehung wollen, wird verneint.
Diese Norm durchdringt unsere Gesellschaft und ist unter anderem daran erkennbar, dass romantische Partner*innen im Vergleich zu Freundschaften priorisiert und Singles bemitleidet werden, da jemand schließlich erst glücklich sein kann, wenn er*sie den*die Eine*n gefunden hat. Aber auch auf gesetzliche Ebene ist diese Norm vorgedrungen. Es gibt sowohl Steuervorteile, die Eheleuten vorbehalten sind, als auch Gesetzgebungen rundum Pflege und Kindererziehung, die Ehepaare bevorzugen. Ausnahmen von Reiseverboten sind auf romantische Partner*innen begrenzt (‘sweetheart visas’) und bei der Einwanderung gibt es zwar einen Familien- jedoch keinen Freundenachzug. In all diesen Bereichen werden Menschen benachteiligt, die nicht in einer romantischen Beziehung sind, oder überhaupt sein wollen.
Aber das ist nur ein Bruchteil des Ausmaßes: Amatonormativität sorgt dafür, dass Singles diskriminiert werden. Dies wird auch „Singlism“ genannt. In einer Studie aus 2007 sollten Vermieter*innen zwischen verschiedenen Bewerber*innen für eine Mietimmobilie wählen. Dabei zogen sie immer wieder verheiratete Paare den Singles vor und gaben sogar an, dass der Ehestatus eine Rolle in ihrer Entscheidung spielte. Ferner wäre Diskriminierung gegen Singles für sie legitimer als jegliche andere Form der Diskriminierung (Morris, Sinclair, und DePaulo). Des Weiteren werden Singles laut einer Studie aus 2008 negativ stereotypisiert, nämlich als unreif, unsicher, ichbezogen, unglücklich, einsam und hässlich. Dies verschlimmert sich mit dem Alter. Vierzigjährige Singles werden als besonders sozial unreif, unausgeglichen, und eifersüchtig gesehen (Morris et al.). Ebenfalls erwähnenswert ist, dass viele die Freizeit von Singles für weniger wichtig halten, weswegen sie von Arbeitgebenden öfter gefragt werden, ob sie an Wochenenden und Feiertagen arbeiten können (DePaulo 2018).
Doch Amatonormativität hat auch subtilere Wirkungsweisen; beispielsweise in dem ständigen Druck, eine*n Partner*in zu finden. Dieser reicht so weit, dass nicht-auf-der-Suche-sein nur ein temporärer Zustand sein darf, etwa nach einer Trennung oder wenn mensch sich auf den Job konzentrieren will. Jemandem, der behauptet, zufrieden Single zu sein und das auch (für immer) bleiben zu wollen, wird mit Unglauben begegnet. Parallel bleiben manche in toxischen Beziehungen oder welchen, in denen sie missbraucht werden, geleitet von der Annahme, dass Single sein schlimmer wäre. Menschen, die Sex außerhalb von Beziehungen oder in einer Beziehung mit mehr als zwei Personen haben, werden häufig dafür beschämt. Darüber hinaus werden Kulturen, in denen nicht-monogame Verhaltensweisen die Norm sind, vielerorts als „unzivilisiert“ erachtet. Es lässt sich also festhalten, dass Amatonormativität uns allen schadet; vor allem jedoch denjenigen, die sich als aromantisch identifizieren.
Die mediale Darstellung von romantischer Liebe als das Beste, das einem widerfahren kann, die Darstellung von Singles als allesamt insgeheim unglücklich, und die Darstellung von Schurken als kaltherzige, lieblose Wesen, die keine romantischen Gefühle empfinden, können bei (noch unwissentlich) aromantischen Personen schnell den Eindruck erwecken, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Wenn sie dann das Label aromantisch für sich entdeckt haben, kommt die Realisierung, dass sie nie das haben können, was ihnen von Kindheit an durch Disney und Co als unbedingt notwendig für das Glücklichsein vermittelt wurde. Dazu kommen Freund*innen, für die mensch in den Hintergrund rückt, sobald sie in einer Beziehung sind, die Angst, alleine dazustehen, wenn besagte Freund*innen heiraten und Kinder kriegen, und das Wissen, dass mensch niemals die wichtigste Person im Leben eines*r Freundes*in sein wird, da romantische Partner*innen immer Vorrang haben.
Auch beim Outing haben aromantische Personen mit reichlich negativen Reaktionen zu kämpfen. „Du hast doch nur noch nicht den*die Richtige*n gefunden“ oder „sowas gibt es doch gar nicht“, sind allzu häufige Entgegnungen, auch nach mehrfachem Erklären. Und basierend darauf, ob jemand zusätzlich allosexuell oder asexuell ist, werden ihm*ihr weitere Stereotypen angehängt. Aroaces werden schnell als herzlos, roboterartig, und empathielos abgestempelt, als ob der Mangel an romantischer und sexueller Anziehung jemanden seiner Menschlichkeit beraube. Alloaros (also aromantische Menschen, die nicht auf dem asexuellen Spektrum sind) werden wiederum als nach Sex verrückte Herzensbrecher typisiert und für ihr sexuelles Verhalten beschämt, oft mit Begriffen wie „Macho“ oder „Schlampe“ – wenn nicht sogar angenommen wird, dass alle Aromantischen auch gleichzeitig asexuell sein müssen.
All das führt laut einer, von Privatpersonen auf Tumblr durchgeführten, Studie zur Entfremdung/Isoliertheit von der Gesellschaft und teils auch vom Rest der LGBTQ+ Community. Auffallend oft berichteten die Teilnehmenden auch davon, nicht ernst genommen und herabgewürdigt zu werden. Von Gewaltdrohungen war ebenfalls die Rede (Aro-neir-o und aromagni 2019). Die Effekte solcher (von Amatonormativität geprägten) Verhaltensweisen wurden in einer weiteren Tumblr-Umfrage untersucht. 71,4% der Partizipierenden hatten schon einmal Selbstmordgedanken und 17,4% versuchten mindestens einmal sich umzubringen. Bei 57,1% bestand ein Zusammenhang zwischen dem mentalen Gesundheitszustand und der aromantischen Identität und bei weiteren 16,7% wäre solch eine Verbindung möglich. Außerdem sagten 72,3% der Befragten, dass Amatonormativität sich negativ auf ihre mentale Gesundheit auswirkte (Arson 2020). Daraus ergibt sich ein erschreckendes Bild, das zurzeit in unserer Gesellschaft noch unsichtbar ist.
Ein Weg hin zur Sichtbarkeit ist die bisher noch spärliche Repräsentation aromantischer Charaktere in den Medien. Neben den Schurken, die wegen ihres Unvermögens (romantische) Liebe zu empfinden böse sind, gibt es wenige Beispiele akkurater Repräsentation. Die Wikipedia Liste von fiktionalen aromantischen Charakteren ist nicht nur kurz, sondern besteht mit überwiegender Mehrheit aus aroace Charakteren, was verdeutlicht, wie unsichtbar allosexuelle aromantische Menschen (noch) für die breite Masse sind. Doch mit Büchern wie ‘Take Me to Your Nerdy Leader’ und ‘Loveless’ sowie Serien wie ‘Koisenu Futari’ und Heartstopper’ werden die ersten Schritte in eine aufgeschlossenere Zukunft gesetzt.