Allgemein
Asexuelle Menschen empfinden keine oder nur bedingt sexuelle Anziehung anderen Menschen gegenüber, egal welchen Geschlechts. Mensch könnte auch sagen, dass sie kein oder wenig Verlangen nach Sex mit einer bestimmten Person haben. Sie befinden sich auf dem sogenannten asexuellen Spektrum, das ebenfalls Identitäten wie Demisexualität und Grau-Asexualität umfasst. Menschen, die sich nicht auf diesem Spektrum befinden, werden allosexuell genannt.
Genaueres
Es wird häufig gesagt, dass ca. 1% der Bevölkerung asexuell ist. Der Anteil könnte jedoch durchaus höher sein. So haben sich in einer US-amerikanischen Umfrage 4% der 18-34-jährigen als asexuell bezeichnet (GLAAD 2017).
Asexualität ist eine sexuelle Orientierung und damit etwas, das Menschen in der Regel ein Leben lang begleitet und keine Entscheidung ist, sondern Teil der Identität. Damit ist Asexualität klar abzugrenzen vom Zölibat oder dem Warten bis zu Ehe. Asexualität sollte auch nicht mit einem Libidoverlust verwechselt werden; schließlich handelt es sich hier um eine Sexualität und nicht um einen – oft temporären – körperlichen Prozess. Außerdem haben viele Asexuelle sehr wohl eine Libido. Um eine sexuelle Störung wie ‚Hypoactive Sexual Desire Disorder‘ handelt es sich auch nicht. Das wird in der fünften Auflage des diagnostischen und statistischen Leitfadens psychischer Störungen auch so angegeben. Wie andere sexuelle Orientierungen kann Asexualität nicht geheilt werden und es sollten auch keine derartigen Versuche unternommen werden, da diese lediglich Leid bei den Betroffenen verursachen würden. Abschließend gibt es, wie bei anderen Orientierungen, grundsätzlich keine Ursache für Asexualität. Allerdings identifizieren sich manche, die ein Trauma erlitten haben, als asexuell, und diese Identität sollte ihnen auch nicht abgesprochen werden.
Romantische und sexuelle Anziehung
Obwohl asexuelle Menschen keine (oder nur bedingt) sexuelle Anziehung empfinden, fühlen sich viele von ihnen romantisch zu anderen hingezogen. Das kann mit dem ‚Split Attraction Model‘ veranschaulicht werden. Dieses Modell, kurz auch SAM genannt, trennt romantische von sexueller Anziehung und hilft dadurch asexuellen (und aromantischen) Menschen ihre Gefühle besser zu verstehen und zu beschreiben. So sehnen sich viele Asexuelle nach einer romantischen Beziehung, wollen auf Dates gehen und mit ihrer Beziehungsperson kuscheln, ohne diese sexuell anziehend zu finden. Demnach kombinieren sie oft das Label für ihre sexuelle Orientierung „asexuell“ mit dem Label für ihre romantische Orientierung. Hier gibt es die gleichen Label, die es auch für sexuelle Orientierungen gibt: Jemand, der heteroromantisch ist, fühlt sich ausschließlich zu Menschen des gegenüberliegenden Geschlechts romantisch hingezogen. Jemand, der biromantisch ist, empfindet romantische Anziehung für zwei oder mehr Geschlechter. Eine aromantische Person fühlt sich zu keinem Geschlecht romantisch hingezogen, usw. Was genau das im Einzelfall bedeutet, was sich eine asexuelle Person von einer Beziehung erhofft, wenn sie überhaupt eine will, und mit welchen Arten von romantischen und sexuellen Aktivitäten sich jemand wohl fühlt, ist hierbei unheimlich breit gefächert.
Einstellungen zu Sex
In der asexuellen Community werden die persönlichen Einstellungen zu Sex in grobe Kategorien gefasst. Diese Kategorien können helfen, das eigene Empfinden zu verdeutlichen.
- ‚Sex-repulsed‘: Menschen, die ’sex-repulsed‘ sind, fühlen sich von Sex abgestoßen. Bei einigen bezieht sich das nur auf den Akt an sich, für andere ist schon die Vorstellung daran abstoßend oder ekelerregend, und wieder andere halten sich auch von Sexszenen in Filmen oder Gesprächen über Sex lieber fern.
- ‚Sex-indifferent‘: Hiermit ist eine Gleichgültigkeit gegenüber Sex gemeint. Diese Personen finden Sex nicht abstoßend, aber können dem auch nichts abgewinnen. Manche von ihnen würden einem*r Partner*in zuliebe Sex haben oder auch um Kinder zu bekommen, ihn jedoch generell eher nicht initiieren.
- ‚Sex-favourable‘: Personen, die dieses Label verwenden, können Sex etwas abgewinnen. Sie können Sex für gewöhnlich auf emotionaler und/ oder körperlicher Ebene genießen, ohne dabei den*die Partner*in sexuell anziehend zu finden oder ein intrinsisches Verlangen nach Sex zu haben.
- ‚Sex-ambivalent‘: Dieser Term bezeichnet komplizierte Gefühle Sex gegenüber. Damit kann zum Beispiel gemeint sein, dass eine Person schlichtweg nicht weiß, wie sie zu Sex steht. Es kann bedeuten, dass jemandes Einstellung zu Sex mit der Zeit schwankt und sich zwischen den drei Kategorien hin- und herbewegt, oder stark variiert für verschiedene Partner*innen.
Nicht alle Asexuellen verwenden diese Label, allerdings sind sie für viele ein hilfreiches Mittel, um die eigenen Gefühle besser zu begreifen, sowie um zu erkennen, dass es in unserer Gesellschaft, die so viel Wert auf Sex legt, andere gibt, die ebenso empfinden wie mensch selbst.
Demisexualität
Demisexuelle Menschen haben kein Verlangen nach sexueller Interaktion bis eine starke emotionale Verbindung vorliegt. Mit anderen Worten fühlen sie sich ohne diese Verbindung nicht sexuell zu anderen hingezogen. Damit ist nicht gemeint, dass mensch mit dem Sex wartet bis mensch jemanden besser kennen gelernt hat, sondern dass mensch keine primäre sexuelle Anziehung verspürt. Das bedeutet, dass mensch sich nicht zu jemandem hingezogen fühlt auf Basis von direkt wahrnehmbaren Informationen, wie etwa jemandes Aussehen oder Stimme. Demisexuelle empfinden nur sekundäre sexuelle Anziehung. Diese Form der Anziehung entwickelt sich über die Zeit hinweg basierend auf emotionalen Eigenschaften, wie Charakter und Humor. Allosexuelle hingegen empfinden sowohl primäre, als auch sekundäre sexuelle Anziehung. Demisexualität ist folglich keine Entscheidung, sondern eine Identität, die auf dem grauen Spektrum der Asexualität liegt.
Grau-Asexualität/Gray-Asexualität
Dieser Term hat keine spezifische Definition und umfasst ein breites Spektrum an Einstellungen zu Sex sowie zu sexueller Anziehung. Der Begriff wird von denjenigen verwendet, die sich nur teilweise mit Asexualität identifizieren können. Einige Erfahrungen, die hiermit verbunden werden, sind: nur selten sexuelle Anziehung oder sexuelles Verlangen spüren, diese(s) nur sehr schwach empfinden oder nur in bestimmten Situationen/ unter bestimmten Umständen, oder auch Unsicherheit darüber, ob bestimmte Empfindungen sexuelle Anziehung oder Verlangen nach sexuellen Aktivitäten sind. Auch jemand, der sexuelle Anziehung empfindet, aber kein Verlangen hat, diese mit einem*r Partner*in auszuleben, gehört hierzu.
Mikrolabel
Um die Empfindungen der Menschen auf dem grauen Spektrum, sowie auf dem gesamten asexuellen Spektrum, etwas konkreter zu machen, werden von einigen gerne Mikrolabel verwendet. Sie helfen vielen dabei, ihre Gefühle besser zu verstehen und eine Community von Gleichgesinnten zu finden. Ein paar der bekanntesten Mikrolabel auf dem asexuellen Spektrum sind die folgenden:
‚Aceflux‘ beschreibt eine sexuelle Orientierung, die schwankt, sich jedoch die meiste Zeit über oder immer auf dem asexuellen Spektrum befindet. Das bedeutet zum Beispiel, dass jemand sich eine Zeit lang eher der grauen Seite des Spektrums zugehörig fühlt, sich dann für eine Weile sehr asexuell fühlt, und danach wiederum eher allosexuell. Das romantische Äquivalent ist ‚aroflux‘.
Aegosexuell bezieht sich auf Menschen, bei denen eine Trennung zwischen sich selbst und dem Objekt der Erregung vorliegt. Damit ist gemeint, dass jemand zwar sexuelle Inhalte, wie Pornos oder erotische Bücher konsumiert und masturbiert, aber kein Verlangen nach einer sexuellen Beziehung hat. Teils wird der Gedanke an Sex im echten Leben auch als abstoßend empfunden. Viele Aegosexuelle haben auch sexuelle Fantasien, jedoch spielen sie selbst darin in der Regel keine Rolle, sondern zum Beispiel fiktionale oder teils auch gesichtslose Charaktere oder Celebrities. Das romantische Äquivalent ist aegoromantisch.
Bellussexuell ist ein Term, der Personen beschreibt, die keine sexuelle Anziehung empfinden und keine sexuelle Beziehung wollen, jedoch Interesse haben an bestimmten sexuellen Aktivitäten oder Aspekten einer sexuellen Beziehung. Das romantische Äquivalent ist bellusromantisch.
Cupiosexuell bezeichnet Menschen, die keine – oder nur manchmal – sexuelle Anziehung empfinden, aber trotzdem eine sexuelle Beziehung wollen. Die meisten von ihnen identifizieren sich als ’sex-favourable‘. Das Gegenteil von cupiosexuell ist orchidsexuell und das romantische Äquivalent ist cupioromantisch.
Fraysexuelle Personen fühlen sich nur sexuell zu Menschen hingezogen, mit denen sie keine starke emotionale Verbindung haben. Sobald sie eine derartige Verbindung zu jemandem aufgebaut haben, verschwindet die sexuelle Anziehung. Deswegen werden fraysexuell und demisexuell auch als Gegenteile bezeichnet. Das romantische Äquivalent ist frayromantisch.
Lithosexuell oder lithsexuell: Hiermit sind Personen gemeint, die sexuelle Anziehung empfinden, aber nicht wollen, dass diese erwidert wird. Viele fühlen sich unwohl, wenn sexuelle Anziehung erwidert wird, oder auch schon bei dem Gedanken daran und fühlen sich bei Erwiderung nicht mehr sexuell zu jemandem hingezogen. Das romantische Äquivalent ist lithoromantisch oder lithromantisch.
Orchidsexuelle Menschen empfinden sexuelle Anziehung, haben jedoch kein Verlangen nach Sex oder einer sexuellen Beziehung. Orchidsexuell ist das Gegenteil von cupiosexuell und fällt in das grau-sexuelle Spektrum. Das romantische Äquivalent ist orchidromantisch.
‘Oriented aroace’: Diese Personen sind sowohl aromantisch als auch asexuell (also ‘aroace’), empfinden jedoch tertiäre Anziehung auf eine für sie signifikante Art. Hiermit können alle Formen tertiärer Anziehung gemeint sein, wie z.B. sinnliche oder platonische Anziehung. Wenn diese Anziehung sich auf ein bestimmtes Geschlecht oder mehrere Geschlechter bezieht, kann dies dem ‘aroace’ Label hinzugefügt werden. Mensch könnte sich z.B. als ‘gay aroace’ bezeichnen.
Quoisexuell, oder auch WTF-sexuell, beschreibt eine generelle Verwirrung bezüglich sexueller Anziehung, und ob sie von jemandem (selbst) empfunden wird. Dabei kann es darum gehen, dass das Konzept der sexuellen Anziehung unverständlich ist. Bei einigen geht es darum, dass sie sexuelle Anziehung nicht von anderen Formen von Anziehung unterscheiden können. Es kann aber auch sein, dass jemand so lange die eigene Sexualität erforscht, dass das Hinterfragen selbst zur Sexualität wird. Das romantische Äquivalent ist quoiromantisch.
Reciprosexuelle Menschen empfinden keine sexuelle Anziehung, es sei denn die andere Person findet sie zuerst sexuell anziehend. Das romantische Äquivalent ist reciproromantisch.
‚Voidsexual‘ bezeichnet eine Orientierung, die sich hohl oder leer anfühlt. Es fühlt sich an, als sei dort, wo die sexuelle Orientierung sein sollte, eine Leere oder Lücke. Während viele Asexuelle sagen würden, dass sie schlichtweg keine sexuelle Anziehung empfinden, würde eine Person, die ‚voidsexual‘ ist, sagen, dass es (in ihrem Inneren) einen Ort für sexuelle Anziehung geben müsste, der fehlt. Das romantische Äquivalent ist ‚voidromantic‘.
Auch diese Label können mit anderen Begriffen, die jemandes romantische und sexuelle Orientierung beschreiben, kombiniert werden. Jemand könnte sich zum Beispiel als ‚aceflux‘ und panromantisch bezeichnen. Das heißt also, dass diese Person Menschen von allen Geschlechtern romantisch anziehend findet, sich qua sexueller Anziehung jedoch überwiegend auf dem asexuellen Spektrum befindet. Jemand der homoromantisch, homosexuell und lithosexuell ist, fühlt sich sowohl romantisch als auch sexuell ausschließlich zu Menschen des eigenen Geschlechts hingezogen, will jedoch nicht, dass die sexuelle Anziehung erwidert wird. Wie an diesen Beispielen deutlich wird, ist die eigene Orientierung für manche unheimlich komplex; und diese Begriffe können dem Ausdruck verleihen. Eine vollständigere Liste von Mikrolabeln, auf der auch die oben genannten Label basieren, befindet sich hier: https://www.lgbtqia.wiki/w/index.php?title=Category:Ace-spec_identity&pageuntil=Malnesexual#mw-pages.