Allgemein
Aromantik ist eine romantische Orientierung. Personen, die sich mit diesem Label identifizieren, fühlen sich nicht, oder nur bedingt, romantisch zu anderen Menschen hingezogen. Viele von ihnen haben kein Verlangen nach einer romantischen Beziehung oder romantischen Tätigkeiten. Zusammen mit Demiromantik und Grau-Aromantik formt die Orientierung das aromantische Spektrum. Diejenigen, deren Identität nicht auf diesem Spektrum liegt, sind alloromantisch.
Genaueres
Es gibt nur wenige Studien, die das aromantische Spektrum unter die Lupe nehmen und noch weniger, die untersuchen, wie viele Menschen auf der Welt aromantisch sind. Laut einer Studie aus 2016 könnte es 1% sein, allerdings ist die Dunkelziffer wahrscheinlich höher, da noch so wenige Menschen überhaupt den Begriff Aromantik gehört haben, geschweige denn wissen, was er bedeutet (Lund et al.).
Als romantische Orientierung ist Aromantik gleichzusetzen mit sexuellen Orientierungen, wie Homosexualität, da es sich in beiden Fällen um einen Teil der Identität handelt, der weder eine Phase ist, noch etwas, das sich die Personen aussuchen. Und „heilen“ kann mensch Aromantik natürlich auch nicht. Außerdem sind aromantische Menschen nicht nur eine Untergruppe der asexuellen Community. Obwohl es viele Asexuelle gibt, die ebenfalls auf dem aromantischen Spektrum sind – laut dem ‘Asexual Community Survey’ aus 2019 ganze 38,9% – gibt es auch viele Aromantische, die sich nicht dem asexuellen Spektrum zuordnen. Diese Personen werden auch ‘alloaros’ genannt.
Ein weiterer Irrglaube über aromantische Menschen ist, dass sie aufgrund ihres Mangels an romantischer Anziehung keine Liebe empfinden können. Dem ist nicht so. Es gibt viele Formen von Liebe, wie platonische, familiäre und sexuelle Liebe, sowie die Liebe für Haustiere oder Hobbies. Allerdings gibt es auch aromantische Personen, die sich als ‘loveless aros’ bezeichnen. Das heißt, dass sie keine Liebe, egal welcher Art, empfinden oder keinerlei Verbindung zu Liebe als Konzept haben. Egal, ob jemand keinerlei Liebe, nur bestimmte Formen von Liebe, oder alle Arten der Liebe empfindet, wir sind alle Menschen, die so akzeptiert werden wollen, wie wir sind. Und wie wir Liebe empfinden, oder auch nicht, ist lediglich ein Ausdruck menschlicher Vielfalt.
Verschiedene Formen von Anziehung
Die verschiedenen Formen von Liebe wurden oben schon erwähnt, doch welche Formen von Anziehung gibt es überhaupt? Sexuelle und romantische Anziehung sind wohl die Bekanntesten. Für die Meisten sind die beiden ineinander verwoben, doch für viele aromantische (und asexuelle) Personen sind sie voneinander getrennt, da sie nur eine der beiden Arten von Anziehung empfinden. Dies steht hier (link zu Kapitel romantische und sexuelle Anziehung im Asexualität-Text) auch nochmal etwas genauer erklärt. Aufgrund dieser Trennung kombinieren viele aromantische Personen ihr Label für romantische Anziehung (aromantisch, demiromantisch, etc.) mit dem Label für sexuelle Anziehung, das auf sie zutrifft, wie heterosexuell, homosexuell, asexuell usw. Jemand, der aromantisch und homosexuell ist, fühlt sich zu niemandem romantisch hingezogen und zu Menschen vom gleichen Geschlecht sexuell. Es gibt also durchaus viele Aromantische, die andere sexuell attraktiv finden und ein Verlangen nach Sex haben, ebenso wie es aromantische Menschen gibt, die sich zusätzlich auf dem asexuellen Spektrum befinden.
Neben diesen bekannten Arten von Anziehung gibt es auch solche, die weder romantisch, noch sexuell sind. Diese werden auch unter dem Begriff der tertiären Anziehung zusammengefasst. Hierzu gehören unter anderem ästhetische, platonische, und sinnliche Anziehung, sowie ‘alterous attraction’. Diese Begriffe helfen vielen aromantischen (und asexuellen) Menschen dabei, ihre Gefühle anderen gegenüber zu verstehen und zu beschreiben. So empfindet zum Beispiel jemand, der ‘aroace’ ist (also sowohl aromantisch, als auch asexuell) weder romantische, noch sexuelle Anziehung, kann Menschen aber durchaus ästhetisch anziehend finden. Das könnte sich zum Beispiel so anfühlen, wie das Beobachten eines Sonnenuntergangs oder das Bewundern eines Gemäldes. Es geht um die Anziehung zu einer Person basierend auf deren Aussehen, ohne dass dabei ein Wunsch nach romantischen oder sexuellen Aktivitäten aufkommt. Platonische Anziehung beschreibt ein starkes Verlangen danach, mit jemandem (besser) befreundet zu sein oder generell eine enge (emotionale) Verbindung zu jemand Spezifischem aufzubauen. Tatsächlich haben viele aromantische Menschen auch platonische Crushes, sogenannte ‘squishes’. Wie bei einem Crush kommt es hierbei oft vor, dass mensch ständig an diese eine Person denkt und der Person nahe sein will, nur ohne die romantischen Gefühle. Stattdessen besteht ein starkes Verlangen nach Freundschaft mit dieser Person. Zusätzlich gibt es auch eine Form der Anziehung, die zwischen romantischer und platonischer Anziehung liegt. ‘Alterous attraction’ beschreibt das (starke) Verlangen, jemandem emotional nahe zu sein, auf eine Art, die weder rein platonisch, noch rein romantisch ist. Die letzte Art tertiärer Anziehung, die wir hier besprechen, ist die sinnliche Anziehung. Hierbei empfindet jemand ein Verlangen danach, eine bestimmte Person auf eine Art zu berühren, die typischerweise nicht sexuell ist. Damit sind zum Beispiel kuscheln oder umarmen gemeint. Oder auch „Menschen auf intime Weisen nah zu sein, die mit den Sinnen zu tun haben, [wie zum Beispiel] gemeinsames Musikhören.“ (Baumgart und Kroschel 2021)
Für Menschen auf dem aromantischen (und asexuellen) Spektrum kann es oft schwierig sein, die eigenen Gefühle einzuordnen. Schließlich empfinden sie romantische (oder sexuelle) Anziehung nicht, oder nicht auf eine Weise, die der Norm entspricht. Doch diese beiden Formen der Anziehung sind die Einzigen, über die gesprochen wird. Allos (also Menschen, die nicht asexuell/ aromantisch sind) reden über ihre Crushes oder darüber, wie heiß der neue Mitschüler ist. Doch Aros und Aces können das oft nicht nachempfinden, da Anziehung sich für sie anders anfühlt. Und da kommen diese Begriffe ins Spiel. Sie helfen dabei, zu verstehen, dass ein Gefühl eben nicht romantische oder sexuelle Anziehung ist (wie es uns von klein auf beigebracht wird), sondern möglicherweise ästhetische und sinnliche. Dadurch wird es oft auch leichter herauszufinden, ob mensch sich eine Beziehung – welcher Art auch immer – mit einer Person vorstellen könnte.
Noch mehr Arten tertiärer Anziehung findet ihr hier: https://mogai.miraheze.org/wiki/Tertiary_Attraction
Einstellungen zu romantischen Beziehungen und Aktivitäten
Mitglieder der aromantischen Community befinden sich auf einem Spektrum, was ihre Anziehung, aber auch ihre Einstellungen zu romantischen Beziehungen und Aktivitäten angeht. Diese können grundsätzlich in vier Gruppen eigeteilt werden, wobei nicht jede*r Aromantische*r sich mit diesen Termen identifizieren kann.
‘Romance-repulsed’: Menschen, die romantische Interaktionen oder den Gedanken an eine romantische Beziehung abstoßend finden, können dieses Label verwenden. Sie fühlen sich oft unwohl in romantischen Situationen (z.B. Dates), in denen romantische Handlungen, wie Händchen halten oder küssen, an sie gerichtet und von ihnen erwartet werden.
‘Romance-indifferent’: Wenn jemand weder besonders positive noch besonders negative Gefühle zu romantischen Handlungen, zu Romantik als Konzept oder in Filmen hat, sondern dem eher gleichgültig gegenübersteht, ist diese Person ‘romance-indifferent’. Aus verschiedenen Gründen, wie um eine*n Partner*in glücklich zu machen, würden einige an romantischen Tätigkeiten teilhaben.
‘Romance-favourable’: Diejenigen, die dieses Label verwenden, genießen Romantik und Ausdrücke von romantischen Gefühlen. Diese Personen schauen vielleicht gerne Romcoms, gehen auf Dates oder wollen in einer romantischen Beziehung sein, ohne dabei romantische Anziehung (auf eine herkömmliche Art) zu spüren.
‘Romance-ambivalent’: Für manche Menschen verändern sich die Gefühle Romantik gegenüber mit der Zeit, für andere hängt es sehr stark von der Situation oder einzelnen romantischen Handlungen ab, wie wohl sie sich damit fühlen. Es gibt Personen, die Romantik normalerweise abstoßend finden, aber nicht mit der Beziehungsperson, und wieder andere sind sich unsicher, wie sie zu dem Thema stehen. Für diese komplexen Einstellungen ist ‘romance-ambivalent’ der passende Begriff.
Diese Label helfen vielen Menschen auf dem aromantischen Spektrum dabei, ihre Gefühle besser zu verstehen und somit leichter Grenzen setzen zu können für die Art Handlungen bei denen sie sich (un)wohl fühlen. Dadurch wird es wiederum einfacher zu erkennen, welche Art von Beziehung, wie etwa eine romantische oder queerplatonische, die richtige sein könnte. Sie können auch eine Hilfestellung sein, wenn es darum geht, zu akzeptieren, dass mensch nie in irgendeiner Form von Beziehung sein möchte und dass daran nichts verwerflich ist.
Demiromantik
Demiromantische Personen können erst dann romantische Anziehung empfinden, wenn sie eine starke emotionale Verbindung zu jemandem aufgebaut haben. Viele Demis fühlen sich jahrelang zu niemandem romantisch hingezogen bis sie sich mit jemandem anfreunden und eine tiefe Verbindung oder ein besonderes Vertrauensverhältnis zu dieser Person aufbauen. Dann entsteht auf einmal ein Crush mit all den Gefühlen, die mensch schon lange Zeit nicht mehr hatte, oder vielleicht gerade zum ersten Mal kennen lernt. Obwohl romantische Anziehung nicht bei allen Demiromantischen so selten vorkommt, haben sie eines gemeinsam, nämlich den Mangel an primärer romantischer Anziehung. Diese beruht auf Eigenschaften, die direkt wahrnehmbar sind, wie Aussehen und Stimme. Demiromantische empfinden lediglich sekundäre romantische Anziehung, die unter anderem durch Persönlichkeit entstehen kann und sich somit erst nach einiger Zeit entwickelt. Alloromantische hingegen empfinden beide Formen der Anziehung.
Grau-(A)romantik/ Gray-Aromantik
Grau-romantik ist ein Sammelbegriff für alle Menschen auf dem aromantischen Spektrum, die bedingt romantische Anziehung empfinden oder Interesse an romantischen Interaktionen haben. Demiromantische Menschen gehören hierzu, aber auch Personen, die nur sehr schwache romantische Anziehung empfinden, diese nur sehr selten oder in bestimmten Situationen fühlen oder deren Anziehung (stark) schwankt. Auch Menschen, die sich unsicher sind, ob ihre Gefühle romantischer Art sind, sowie Personen, die zwar romantische Anziehung empfinden, jedoch kein Verlangen nach einer romantischen Beziehung (oder romantischen Tätigkeiten) haben, sind Teil dieses Spektrums.
Mikrolabel
Es gibt eine Reihe sehr spezifischer Label, auch Mikrolabel genannt, die vielen auf dem aromantischen Spektrum dabei helfen, sich selbst besser zu verstehen, sowie mit dem beruhigenden Wissen weiter leben zu können, dass sie nicht alleine sind, sondern es eine ganze Gemeinschaft von Menschen gibt, die empfinden wie sie. Einige der bekanntesten Label sind die folgenden:
‘Aroflux’ beschreibt eine romantische Orientierung, die schwankt, sich jedoch die meiste Zeit über oder immer auf dem aromantischen Spektrum befindet. Das bedeutet zum Beispiel, dass jemand sich eine Zeit lang eher der grauen Seite des Spektrums zugehörig fühlt, sich dann für eine Weile sehr aromantisch fühlt, und danach wiederum eher alloromantisch. Das sexuelle Äquivalent ist ‘aceflux’.
Aegoromantische Menschen können Romantik zwar als Konzept etwas abgewinnen, haben jedoch kein Verlangen nach romantischen Aktivitäten im echten Leben. Sie genießen demnach z.B. romantische Filme und shippen Charaktere als Teil eines Fandoms, fühlen sich selbst jedoch nicht, oder nur begrenzt, zu anderen hingezogen. Viele Aegoromantische haben auch romantische Fantasien, jedoch spielen sie selbst darin in der Regel keine Rolle, sondern zum Beispiel fiktionale oder teils auch gesichtslose Charaktere oder Celebrities. Das sexuelle Äquivalent ist aegosexuell.
Bellusromantisch ist ein Term, der Personen beschreibt, die keine romantische Anziehung empfinden und keine romantische Beziehung wollen, jedoch Interesse haben an bestimmten romantischen Aktivitäten oder Aspekten einer romantischen Beziehung (wie küssen und kuscheln). Das sexuelle Äquivalent ist bellussexuell.
Cupioromantisch ist ein Term, der Personen beschreibt, die keine – oder nur manchmal – romantische Anziehung empfinden, aber trotzdem eine romantische Beziehung wollen. Die meisten von ihnen identifizieren sich als ‘romance-favourable’. Das Gegenteil von cupioromantisch ist orchidromantisch und das romantische Äquivalent ist cupiosexuell.
Frayromantische Personen fühlen sich nur romantisch zu Menschen hingezogen, mit denen sie keine starke emotionale Verbindung haben. Sobald sie eine derartige Verbindung zu jemandem aufgebaut haben, verschwindet die romantische Anziehung. Deswegen werden frayromantisch und demiromantisch auch als Gegenteile bezeichnet. Das sexuelle Äquivalent ist fraysexuell.
Lithoromantisch oder lithromantisch: Hiermit sind Personen gemeint, die romantische Anziehung empfinden, aber nicht wollen, dass diese erwidert wird. Viele fühlen sich unwohl, wenn romantische Anziehung erwidert wird, oder auch schon bei dem Gedanken daran und fühlen sich bei Erwiderung nicht mehr romantisch zu jemandem hingezogen. Das sexuelle Äquivalent ist lithosexuell oder lithsexuell.
Orchidromantische Menschen empfinden romantische Anziehung, haben jedoch kein Verlangen nach romantischen Interaktionen oder einer romantischen Beziehung. Orchidromantisch ist das Gegenteil von cupioromantisch und fällt in das grau-romantische Spektrum. Das sexuelle Äquivalent ist orchidsexuell.
‘Oriented aroace’: Diese Personen sind sowohl aromantisch als auch asexuell (also ‘aroace’), empfinden jedoch tertiäre Anziehung auf eine für sie signifikante Art. Hiermit können alle Formen tertiärer Anziehung gemeint sein, wie z.B. sinnliche oder platonische Anziehung. Wenn diese Anziehung sich auf ein bestimmtes Geschlecht oder mehrere Geschlechter bezieht, kann dies dem ‘aroace’ Label hinzugefügt werden. Mensch könnte sich z.B. als ‘gay aroace’ bezeichnen.
Quoiromantisch, oder auch WTF-romantisch, beschreibt eine generelle Verwirrung bezüglich romantischer Anziehung und ob sie von jemandem (selbst) empfunden wird. Dabei kann es darum gehen, dass das Konzept der romantischen Anziehung unverständlich ist. Bei einigen geht es darum, dass sie romantische Anziehung nicht von anderen Formen von Anziehung unterscheiden können. Es kann aber auch sein, dass jemand so lange die eigene romantische Orientierung erforscht, dass das Hinterfragen selbst zur Orientierung wird. Das sexuelle Äquivalent ist quoisexuell.
Reciproromantische Menschen empfinden keine romantische Anziehung, es sei denn die andere Person findet sie zuerst romantisch anziehend. Das sexuelle Äquivalent ist reciprosexuell.
‘Voidromantic’ bezeichnet eine Orientierung, die sich hohl oder leer anfühlt. Es fühlt sich an, als sei dort, wo die romantische Orientierung sein sollte eine Leere oder Lücke. Während viele Aromantische sagen würden, dass sie schlichtweg keine romantische Anziehung empfinden, würde eine Person, die ‘voidromantic’ ist, sagen, dass es (in ihrem Inneren) einen Ort für romantische Anziehung geben müsste, der fehlt. Das sexuelle Äquivalent ist ‘voidsexual’.
Die Mikrolabel können anderen Labeln für romantische und sexuelle Anziehung beigefügt werden. Beispielsweise könnte sich jemand als homoromantisch, homosexuell, und reciproromantisch bezeichnen. Diese Person hat demnach sexuelle und romantische Gefühle für Menschen vom gleichen Geschlecht, die romantischen aber nur, wenn die andere Person sie zuerst anziehend findet. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie vielschichtig die Orientierung mancher Leute ist, was durch Mikrolabel in Worte gefasst werden kann. Die oben aufgeführten Begriffserklärungen basieren auf der folgenden Liste, in der noch viele weitere Label erläutert werden: https://www.lgbtqia.wiki/wiki/Category:Aro-spec_identity.
Quellen
- Lund, Emiliy M., Katie B. Thomas, Christina M. Sias, und April R. Bradley. 2016. “Examining Concordant and Discordant Sexual and Romantic Attraction in American Adults: Implications for Counselors.” Journal of LGBT Issues in Counseling 10(4): 211-226. https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/15538605.2016.1233840
- Asexual Community Survey Summary Report 2019 https://acecommunitysurvey.org/wp-content/uploads/2021/10/2019-asexual-community-survey-summary-report.pdf
- Mehr Informationen zu ‘loveless aromantics’ https://www.lgbtqia.wiki/wiki/Loveless_Aromantic
- Baumgart, Annika, und Katharina Kroschel. 2021. (Un)sichtbar gemacht. Perspektiven auf Aromantik und Asexualität. Münster.