Leider gibt es immernoch viele, die glauben, Asexualität existiere gar nicht oder sei heilbar. In einer Gesellschaft, in der Sex uns ständig umgibt, in Liedern und Filmen und Werbung mit Frauen in Bikinis, in der Sex als notwendig für ein erfülltes Leben gesehen wird, passen Asexuelle nicht ins Schema. Folglich werden sie oftmals nicht ernst genommen oder ihre Identität wird pathologisiert. Solche Auffassungen können mit dem Begriff der Allonormativität erklärt werden. Allonormativität ist eine gesellschaftliche Norm, die annimmt, dass alle Menschen allosexuell sind (also sexuelle Anziehung empfinden). Ihr zufolge ist Sex nicht nur notwendig für erfolgreiche romantische Beziehungen, sondern auch Teil der menschlichen Natur. Somit wird die Existenz von Asexuellen gänzlich ausgeschlossen. Diese Norm sorgt unter anderem dafür, dass das Sammeln von sexuellen Erfahrungen als Teil des Erwachsenwerdens gesehen wird, und dass Jugendlichen im Sexualkundeunterricht beigebracht wird, dass sie alle sexuelle Gefühle entwickeln werden. Sie sorgt dafür, dass sexuelle Inaktivität von Ärzt*innen (immer) als besorgniserregend erachtet wird. Zudem ist sie auch schädlich für Allosexuelle. (Junge) Menschen, die sich unter Druck gesetzt fühlen, so schnell wie möglich ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, weil es als peinlich erachtet wird, ab einem bestimmten Alter noch keinen Sex gehabt zu haben? Der Gedanke, dass der einzige Grund hierfür sein kann, dass etwas mit einem nicht stimmt? Allonormativität. Asexuelle, die sich ihrer Identität noch nicht bewusst sind, verinnerlichen diesen Gedanken oft und fühlen sich, als sei etwas falsch mit ihnen.
Selbst wenn eine asexuelle Person das Label für sich entdeckt und den Mut fasst sich zu outen, kann sie auf zusätzliche Probleme stoßen. Viele wissen immer noch nicht, dass Asexualität überhaupt existiert und nehmen jemanden, der sich so outet, nicht ernst. Aussagen, wie: „Vielleicht solltest du mal gucken, ob mit deinen Hormonen was nicht stimmt.“, „Wurdest du sexuell missbraucht?“, „Hattest du denn überhaupt schon Sex? Denn wenn nicht, dann kannst du das ja gar nicht wissen“, sind oftmals Reaktionen auf ein asexuelles Coming Out. Wie bei anderen queeren Labeln wird die Identität also von vielen abgelehnt. Dies zeigt sich auch beim Thema Adoption. Olivier Cormier-Otaño, ein ‚Counsellor‘ und psychosexueller Therapeut, berichtete 2011 über eine von ihm durchgeführte Umfrage mit Asexuellen das folgende: „There was a couple of cases which were really, really distressing of asexual couples who approached Social Services to adopt children and Social Services asked them „How come you don`t have children by yourselves?“ And the couple said: „We are asexual.“ And Social Services said: „Well, this is not normal. If you are asexual, you are not fit to be parents.“ (Übersetzung: Es gab ein paar Fälle, die sehr, sehr beunruhigend waren mit asexuellen Paaren, die sich an Social Services gewendet hatten um Kinder zu adoptieren und Social Services hatte sie gefragt: „Wie kommt es, dass Sie keine eigenen Kinder haben?“ Und das Paar sagte: „Wir sind asexuell.“ Und Social Services sagte: „Nun, das ist nicht normal. Wenn Sie asexuell sind, dann sind sie nicht dazu geeignet, Eltern zu sein“) (Olivier Cormier-Otaño 2011).
Auch neuere Daten bestätigen Acefeindlichkeit in der Bevölkerung. In einer großangelegten britischen Studie aus 2018 wurde verglichen, welchem Prozentsatz der queeren Respondent*innen Konversionstherapie angeboten oder bei wem sie durchgeführt wurde. Diese wurde definiert als „techniques intended to change someone’s sexual orientation or gender identity“ (Government Equalities Office 2018, 83), also Methoden mit der Absicht jemandes sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität zu ändern. Es stellte sich heraus, dass der Prozentsatz der cisgender Asexuellen, denen Konversionstherapie angeboten wurde etwas höher war als der anderer cisgender Respondent*innen, (um genau zu sein cisgender Menschen,) die sich als schwul oder lesbisch, queer, pansexuell, bisexuell, oder anders identifizierten. Bei den Asexuellen waren es 7,9%, bei den Bisexuellen waren es 3,7% und bei den anderen Orientierungen um die 5,5%. Bei der Frage, ob Konversionstherapie durchgeführt wurde, lagen die Orientierungen enger beieinander, zwischen 1,5% und 2,3%, jedoch hatten auch hier Asexuelle, zusammen mit Schwulen und Lesben, den höchsten Anteil unter cisgender Teilnehmenden.
Darüber hinaus zeigte diese Studie, dass Asexuelle von allen cisgender Respondent*innen Offenheit bezüglich ihrer sexuellen Orientierung am meisten vermieden haben, z.B. im Freund*innenkreis und im Berufsleben, aus Angst vor negativen Reaktionen (Government Equalities Office 2018, 35, 47, 140). Dieselbe Gruppe hatte mit 25,6% zudem den höchsten Prozentsatz an gefühlten negativen Auswirkungen dadurch, dass sie sich medizinischem Personal gegenüber geoutet haben. Die Gruppe mit dem nächst höheren Prozentsatz waren Respondent*innen, die sich als queer identifizierten, mit 13,4% (Government Equalities Office 2018, 176). Außerdem zeigte eine Studie von Borgogna et al. (2018, 6), dass Asexuelle mitunter die höchsten Raten an Depressionen unter cisgender queeren Menschen hatten, nur bei Pansexuellen und Demisexuellen (die natürlich auf dem asexuellen Spektrum sind) waren die Werte noch höher.
Zu diesen hohen Zahlen trägt vermutlich auch die Unsichtbarkeit von Asexualität bei. Viele Menschen wissen, wie schon erwähnt, gar nicht, dass es Asexualität gibt. Das führt unter anderem dazu, dass Asexuelle oft erstmal einen Vortrag halten müssen, um sich zu outen, nur um dann in Diskussionen über die Existenz und Validität der eigenen Identität verflochten zu werden. Auch in den Medien ist Asexualität kaum repräsentiert. Obwohl durchaus häufig Charaktere auftreten, die als asexuell interpretiert werden könnten, da sie z.B. ein klares Desinteresse an sexuellen Interaktionen zeigen, wie Sheldon Cooper oder Sherlock Holmes, sind diese Figuren meistens gefühlskalt, emotionslos, roboterartig oder Soziopathen/ Psychopathen. In gewisser Weise wird also die Idee vermittelt, dass jemand, der keine sexuelle Anziehung empfindet, kein empathischer Mensch sein kann. Einen Dr. House, der in einer Folge „beweist“, dass asexuelle Menschen gar nicht existieren, kann mensch auch nicht gerade als ideale Repräsentierung bezeichnen. Es gibt allerdings kleine Lichtblicke mit Sendungen wie Sex Education, Heartstopper und Bojack Horseman, die asexuelle Charaktere als ganz gewöhnliche Menschen darstellen, die nunmal eine etwas unbekanntere Orientierung haben.