Die Story von Noah

Als ich noch ganz klein war merkte ich, dass ich anders war als die anderen Jungs in meinem Alter. Doch in der 5. Klasse hatte ich an meinem ersten Schultag ein pinkes T-Shirt an, womit ich 2 Jahre lang aufgezogen wurde.
Als ich dann die Schule wechselte ab der 7.-10. Klasse, verging leider kein Tag in der Schule an dem keiner gesagt hat „Schwuchtel!“. Ich wusste nie warum Leute das sagten. Warum wurde ich so bezeichnet? Seh‘ ich so aus? Rede ich so? Ich hatte davon keine Ahnung, aber irgendwann überlegte ich „Hey Noah, könnte da vielleicht doch irgendwas dran sein?“ Ich konnte es nicht so beurteilen. Doch als ich mit 13-14 Jahren meinen ersten Jungen geküsst hatte, war das ein absolutes Feuerwerk. Ab da wusste ich was ich will, und wohin ich gehöre.
Naja, aber einfach zu jedem hingehen und das sagen ging bei mir nicht.
Ich bin seit Geburt an als Zeuge Jehovas groß geworden. Meine Eltern haben mir immer wieder gezeigt was richtig und was falsch ist. Und Homosexualität gehörte definitiv zu den falschen Sachen. 2014 habe ich mich dann als Zeuge Jehovas taufen lassen und ich muss sagen es hat sich damals richtig angefühlt. Viele Jahre habe ich versucht das alles geheim zu halten. Wenn mich jemand gefragt hat „Hey Noah, bist du schwul?“, war meine Antwort immer „Nein“. Ich wollte nicht das Problemkind sein, ich wollte doch einfach nur ein normales Leben. Aber irgendwann habe ich mich gefragt, wer stellt eigentlich fest was normal ist und was nicht? Für mich war das schwul sein, normal. Immer wieder wurde mir gesagt, Noah, du musst das hassen, das ist nicht normal, das hat Gott nicht so gewollt. Lange habe ich versucht mir das einzureden, was aber nicht geklappt hat.

Es gab bei mir damals immer mal so „Schübe“. Es gab Monate, an denen ich total gut drauf war und an denen ich mein Leben „normal“ gelebt habe. Aber irgendwann gab es einen Schub an denen ich komplett zerbrochen bin und alles angezweifelt habe. Wusste nicht, warum ich überhaupt noch am Leben bin und wieso ich so bin wie ich bin. Sommer 2020 habe ich meinen Arbeitskollegen das erste mal gesagt, dass ich schwul bin. Die Reaktion war nur: „Ach endlich sagt er es!“ Sie haben mich dann umarmt und sagten nur, Noah, du bist immer noch du!
Das hat mich wirklich sehr gefreut. Einen Monat später habe ich mich bei meinem Bruder geoutet der 3 Jahre älter ist als ich.
Und er sagte nur: Noah, du bist mein Bruder und ich akzeptiere dich so wie du bist und ich hab dich immer noch genauso lieb! Mir ist so ein Stein vom Herzen gefallen…

Anfang des Jahres 2021 habe ich aufgehört in die Versammlungen von den Zeugen Jehovas zu gehen, weil ich mich nicht mehr da rein setzten konnte und so tun konnte, als ob alles in Ordnung wäre. Meine Eltern haben gemerkt, dass ich nicht mehr gekommen bin und fragten mich was los ist. Habe ihnen gesagt, dass ich gerade einfach fertig bin und ich das alles so unfair finde, dass sich jeder verlieben darf nur ich nicht. Ich hatte es so satt mich zu verstellen, nur damit ich in die sogenannte „Form“ reinpasse. Ich wollte endlich meinen eigenen Weg gehen. Meine Mama weinte ganz bitterlich und mein Vater sagte ich sei krank im Kopf. Ich sagte meinen Eltern, dass ich damals die Entscheidung getroffen habe mich taufen zu lassen und dass diese Entscheidung sich richtig angefühlt hat, genauso wie es sich jetzt richtig anfühlt sich für mich zu entscheiden.
Juni 2021 sagte ich dann dass ich kein Teil mehr der Versammlung und der Zeugen Jehovas sein möchte. Ich wollte mein Leben leben und endlich ich selbst sein. Endlich mich entfalten können.
Ich wusste was auf mich zu kommt, denn die Religion verbietet zu ausgeschlossenen oder ausgetretenen Kontakt zu haben.
Meine Eltern reden seit dem kein Wort mehr mit mir, mein bester Freund, meine beste Freundin haben mich blockiert und ignorieren mich komplett. Meine 12 jährige Schwester schaut mich nicht mal mehr an und seit Juni hat sie kein Wort mehr mit mir geredet. Nun muss ich ausziehen, da meine Eltern mich nicht mehr hier haben möchten und ich nicht mehr im selben Haus wohnen darf. Mitte September ziehe ich endlich um und ich freue mich sehr auf meinen neuen Lebensabschnitt. Ehrlich gesagt habe ich davor sehr viel Angst und ich hoffe, dass ich das alles irgendwie hinbekommen werde.

Am Wochenende war ich auf dem Christopher-Street-Day in Köln und ich muss sagen…ich hab mich noch nie so Willkommen gefühlt wie dort…Dieses Gefühl zu merken, hey Noah es ist alles gut mit dir, mit dir ist nichts falsch. Das Gefühl ist unbeschreiblich schön!!!
Ich habe alles und jeden verloren, aber ich werde nicht aufgeben und ich werde kämpfen.
Ich habe oftmals Angst, dass ich zu spät dran bin, dass ich mich schon mit 16, so wie andere, dazu hätte entscheiden können. Ich hab Angst einfach viel verpasst zu haben und dass mein Leben oder meine Jugend jetzt schneller vorbei ist als ich denke.