Die Story von Ulf

Meine Geschichte beginnt circa im Jahr 1997/1998. Irgendwann da habe ich gemerkt, dass ich mich zu beiden Geschlechtern hingezogen fühle. Mich haben Männer- und Frauenkörper angemacht.
Wirklich verstanden habe ich das aber nicht. Ich habe mich mit einer Freundin ausgetauscht, die schon für sich ihr Coming-out hatte. Ich habe mich nicht wirklich begriffen und es waren mehr Phantasien in meinem Kopf. Ich hatte Angst.
Die Gesellschaft war damals noch eine andere und ich wusste ja gar nicht, was mit mir los ist.
Also habe ich geträumt. Angefangen die Gedanken zu begraben und sie nur manchmal rauszulassen.
Bis circa ins Jahr 2002/2003.
Ein Abend mit einem Freund. Er schläft bei mir, wir schauen Pornos. Wir fangen an und es kommt, was kommen muss.
Aber es war ihm peinlich. 1-2 Minuten – länger berührten wir uns nicht. Dann ist schweigen.
Keiner redet. Wir beenden es. Keiner redet mehr darüber. Ein Mantel des Schweigens breitet sich aus, bis heute. Wir haben nie mehr drüber gesprochen. Unsere Freundschaft endete an diesem Abend.
Ich schweige über mich auch weiter.
Rede nicht mehr darüber. Dränge es weg. Führe ein heterosexuelles Leben. Probierte mich mit Frauen aus, auch wenn es an mir knabberte. Ich dachte manchmal dran. Wie wäre es. Es überkam mich, aber ich schreckte zurück.
Lebe nichts aus, versuche nichts. Es bleibt in der Phantasie.

Meiner Frau erzählte ich erst am Anfang des zweiten Jahres unserer Beziehung von meiner Neigung.

Ein Schock für sie. Reiche ich ihr? Ich schrecke erneut zurück. Dränge es weg. Aber es gelingt mir im Laufe unserer Beziehung nicht, es dauerhaft zu unterdrücken. Immer mal wieder kommen Phantasien auf. Wir suchen nach gemeinsamen Lösungen. Aber es sind ja nur Phantasien. Ein Gespinst. Ein Wunsch. Nicht mehr. Es bleibt im Vagen. Ich setze mich damit nicht wirklich auseinander, aber ich denke, ich bin ja schon geoutet. Ich bin mir ganz klar, was ich will und was nicht, bin mir ganz klar über mich und mein Verlangen und vor allem über mein Selbstbildnis. Das war ein Trugschluss.

Am Anfang dieses Jahres haben meine Frau und ich entschieden, unsere Ehe zu öffnen. Ein tolles Konzept, eine schöne Idee. Ich bin Feuer und Flamme. Ausprobieren, was ich schon immer mal wollte. Super. Ich habe ein Date mit einem Mann. Das erste Mal in meinem Leben treffe ich einen Mann mit dem was gehen könnte. Ich bin aufgeregt. Ich bin neugierig. Ich bin total überfordert. Während des Dates bekomme ich weiche Knie. Kann nicht mehr richtig denken, nicht mehr richtig laufen. Wir reden nur miteinander. Keine Berührung, keine Zärtlichkeit oder Ähnliches. Nur ein Gespräch.
20 Jahre unterdrückte Gedanken und Gefühle bahnen sich ihren Weg und ich zerbreche.
Ich merke es erst nicht. Die Gefühle sind so überwältigend.
Es bringt alles ins Wanken. Wer bin ich? Bin ich noch Mann? Wer war ich? Bin ich noch Ehemann? Kann ich noch Vater sein?

Ich verliere den Halt.
Ich greife nach allem, was mir halt gab in den letzten Jahren.
Ich greife nach meiner Frau. Halte sie fest, erdrücke sie.
Fast wären wir gescheitert.

Heute sehe ich etwas klarer. Kann wieder denken.
Ich bin zwar noch im Prozess drin. Aber ich fühle mich wieder.
Ich weiß nun mehr als vorher, wer ich bin.
Ich muss noch Dinge über mich rausfinden, aber es liegt nun alles frei. Ich muss nur hinsehen. Es ist nicht mehr begraben. Es liegt offen vor mir.