Coming-out vor den Eltern: So gelingt’s!

Wenn du auf dieser Seite gelandet bist, dann wohl nicht durch Zufall, sondern weil du wissen möchtest wie du dich am besten vor deinen Eltern outen kannst. Die meisten von uns sind durch genau das gegangen, was du nun vor dir hast: Das Coming-out vor den eigenen Eltern.

Du bist damit nicht alleine, wir sind da für dich, ok?

In diesem Ratgeber teilen wir alles mit dir was du unbedingt wissen solltest für dein erfolgreiches Coming-out. Nimm diesen Text nicht als festes Regelwerk, sondern eher als Inspiration – letztendlich ist es allein deine Entscheidung ob, wann und wie du dich outest.

Inhalt:

  1. Warum muss ich mich vor meinen Eltern überhaupt outen?
  2. In diesen Situationen solltest du dich NICHT vor deinen Eltern outen!
  3. Vorbereitungen für dein Coming-out
  4. Tipps zum Coming-out vor deinen Eltern
  5. Coming-out Brief an die Eltern schreiben (mit Anleitung)
  6. Hilfe, meine Eltern sind super konservativ

1. Warum muss ich mich vor meinen Eltern überhaupt outen?

In einer Gesellschaft in der heterosexuelle cisgender (sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren) Menschen immernoch von den Meisten als die Norm gesehen werden, kommen Viele von uns leider noch nicht um ein Coming-out herum. 

  • MÜSSEN tust du gar nichts!
    Es ist wichtig zu wissen, dass du dich natürlich nicht vor deinen Eltern outen MUSST. Diese Entscheidung ist allein deine und wenn du dich aus irgendwelchen Gründen dagegen entscheidest, dann ist das vollkommen okay!
  • Kein Stress mehr dich zu verstecken
    Seine eigene Identität geheim zu halten kann verdammt stressig sein (Glaub uns, das wissen wir!). Durch ein Coming-out vor der eigenen Familie musst du zu Hause nicht mehr ständig darauf achten was du sagst, wen du mit nach Hause bringst oder dich mit Was-Wäre-Wenn-Szenarien in deinem Kopf rumschlagen.
  • Unterstützung von den Eltern bekommen
    Nachdem du dich bei deinen Eltern geoutet hast – und alles gut gelaufen ist – können dich diese auf deinem weiteren Weg unterstützen und dir zur Seite stehen. 

2. In diesen Situationen solltest du dich NICHT vor deinen Eltern Outen!

Die höchste Priorität haben immer deine körperliche und mentale Gesundheit. Es gibt einige Situationen, in denen du überlegen solltest ob ein Coming-out Sinn macht oder dir nur noch mehr Probleme einbringt. Solltest du dich in einer der unten genannten Situationen befinden, dann findest du hier eine Liste mit Anlaufstellen, die dich bei deinem Outing beraten und dir unterstützend zur Seite stehen.

Leider gibt es immernoch Fälle, in denen junge Mensche sich aus Selbstschutz nicht outen können.
  • Häufige LGBTQ+-feindliche Aussagen
    Ein Indiz dafür, dass du dein Coming-out überdenken solltest ist, wenn deine Eltern sich häufig negativ über queere Menschen äußern. Das können zum Beispiel abwertende Kommentare zur Ehe für alle oder andere Themen sein, die für LGBTQ+ Menschen wichtig sind.
  • Androhung von Gewalt
    Falls deine Eltern dir jemals mit Konsequenzen gedroht haben, solltest du schwul, lesbisch, bisexuell oder was auch immer sein – dann solltest du das auf jeden Fall ernst nehmen. Manche Eltern versuchen so ihre Kinder zu “zwingen” hetero zu werden.
  • Abhängigkeit von den Eltern
    Du bist finanziell oder anderweitig sehr abhängig von deinen Eltern? Und die Chance, dass du nach deinem Coming-out rausgeschmissen wirst ist sehr hoch? Dann solltest du deine Entscheidung nochmal überdenken und ob es nicht besser wäre noch zu warten, bis du auf eigenen Beinen stehst.

Letztendlich ist es natürlich deine Entscheidung ob, wie und wann du dich outest. Mit diesen Punkten möchten wir dir nur zeigen, dass es manchmal tatsächlich Sinn macht sich nicht “um jeden Preis” zu outen.


3. Vorbereitungen für dein Coming-out

Es gibt einige Dinge, die du vorab tun kannst, um dich auf das Coming-out vor deinen Eltern vorzubereiten. Gerade wenn du sehr nervös, angespannt oder ängstlich bist, macht es auf jeden Fall Sinn, dir vorab einige Gedanken zu machen um dich sicherer zu fühlen.

  • Was wäre das Worst-Case Szenario?
    Was wäre aus deiner Sicht das Schlimmste was passieren könnte? Wie könnten deine Eltern reagieren? Was für Konsequenzen könnten folgen? Lege dir Notfallpläne zurecht, wie du mit diesen Situationen umgehen würdest. Natürlich solltest du dich nicht verrückt machen und nur auf das negative konzentrieren. Häufig stellen sich die meisten Bedenken im Nachhinein als völlig unbegründet raus.
  • Baue dir ein Support-Netzwerk auf
    Vielleicht hast du bereits Freund:innen, Angehörige oder Lehrer:innen vor denen du dich geoutet hast. Falls nicht überlege dir welche Freund:innen, Vertrauenslehrer:innen oder Anlaufstellen dir Unterstützung geben könnten. Vertraue dich diesen an, erzähle ihnen was du vorhast und dass du vielleicht ihre Hilfe benötigen wirst – eine zeitlang als Unterkunft, ein offenes Ohr für dich zu haben oder als emotionalen Support.
  • Wie kannst du deine Eltern unterstützen?
    Deine Eltern werden wahrscheinlich eine gewisse Zeit brauchen um die Neuigkeiten zu verarbeiten. Wie könntest du sie dabei unterstützen? Denke zum Beispiel daran ihnen Infomaterialien zu besorgen oder auch eine gewisse Zeit Abstand zu geben. Du kennst deine Eltern am besten, überlege also was für SIE wohl am hilfreichsten wäre.
  • Bereite dich auf einige Fragen vor
    Besonders wenn deine Eltern eher konservativer sind, könnten einige Gegenfragen zu deinem Outing kommen. Wenn du dir vorab bereits zu einigen Punkten Gedanken machst, kann dir das während deinem Coming-out sehr weiterhelfen. Du kennst deine Eltern natürlich am besten, wir haben dir hier aber mal eine kleine Sammlung gemacht von Fragen die eventuell kommen könnten:
    “Bist du dir sicher?”
    “Woher weißt du, dass du schwul/bi/trans/etc. bist?”
    “Ist es nicht unnatürlich schwul/bi/trans/etc. zu sein?”
    “Wirst du damit ein glückliches Leben führen können?”
    “Bist du jetzt anders?”
    “Wie können wir dich unterstützen?”
Das Coming-out ist ein großer Schritt und jedes Mal aufs Neue aufregend.

4. Tipps zum Coming-out vor deinen Eltern

Es ist soweit! Du möchtest dich deinen Eltern anvertrauen und ihnen die Big News überbringen. Wir haben hier einige Tipps für dich zusammengetragen, wie das Coming-out für dich und deine Eltern möglichst gut abläuft. Nicht jeder Tipp wird für deine individuelle Situation passend sein – schau also einfach was für dich passt und du als hilfreich empfindest.

  • Wähle einen guten Ort und den richtigen Moment
    Den “perfekten Zeitpunkt” wird es wohl niemals geben, dennoch solltest du darauf achten eine ruhige Umgebung zu wählen in der du die ungeteilte Aufmerksamkeit deiner Eltern hast. Vermeide ohnehin schon angespannte Situationen – wie Diskussion – oder wichtige Ereignisse, wie Hochzeiten oder Beerdigungen. Du könntest deine Eltern zum Beispiel bitten sich Abends mit dir gemeinsam hinzusetzen, da du mit ihnen über etwas wichtiges sprechen möchtest. 
  • Wie möchtest du das Gespräch starten?
    Der erste Schritt ist meistens der schwierigste. Hier haben wir einige Ideen für dich, wie du das Coming-out vor deinen Eltern beginnen könntest:
    “Ich möchte gerne etwas mit euch teilen, von dem ich lange das Gefühl hatte es ein Geheimnis halten zu müssen. Aber ich fühle mich jetzt bereit darüber zu sprechen.”
    “Ich habe schon lange ein Thema auf dem Herzen, das ich sehr schwer finde anzusprechen vor euch.”
    “Ich möchte gerne über etwas sprechen, das mir sehr viel bedeutet. Es ist mir sehr wichtig, ehrlich mit euch zu sein.” 
  • Kläre deine Eltern auf
    Das Spektrum an Sexualitäten, Orientierungen und Identitäten in der queeren Welt wird deinen Eltern wahrscheinlich nicht geläufig sein. Erkläre ihnen wie genau du dich fühlst und was das bedeutet. Wenn du dir noch nicht sicher bist oder kein Label geben möchtest, dann kannst du das deinen Eltern auch genauso sagen. 
  • Erkläre deine Sichtweise
    Versuche deinen Eltern deine aktuelle Situation und wie du dich fühlst zu erklären. Das wird ihnen helfen dich besser zu verstehen. So eine Beschreibung könnte z.B. so aussehen:
    “Es fühlt sich für mich total normal an, so wie es sich eben für euch normal anfühlt hetero zu sein. Ich habe mir das nicht ausgesucht, es ist einfach wer ich bin”
    “Ich bin immer noch die gleiche Person, die ich die ganze Zeit war. Ich habe mich jetzt einfach nur entschlossen euch offen davon zu erzählen, weil es mir schon so lange klar ist und sich für mich auch ganz normal anfühlt.” 
  • Warum outest du dich erst jetzt?
    Auch dieser Punkt kann deinen Eltern helfen dich besser zu verstehen. Hier kannst du auch ganz offen deine Ängste ansprechen, so wissen deine Eltern wie sie dich am besten unterstützen können.
    “Ich hatte unglaubliche Angst, dass ihr mich nicht mehr lieb habt.”
    “Queere Menschen werden immer noch oft diskriminiert und das hat mir einfach Angst gemacht zu mir zu stehen.”
    “Unsere Religion sagt, dass es eine Sünde sei schwul/lesbisch/bi/etc. zu sein und ich habe eine lange Zeit gebraucht damit selbst erstmal klarzukommen.” 
  • Gib ihnen Zeit die Neuigkeiten zu verarbeiten
    Bedenke, dass für deine Eltern die queere Welt eventuell komplettes Neuland ist und sie einige Zeit brauchen werden um dein Coming-out zu verarbeiten. Wahrscheinlich hat es auch dich einige Zeit gekostet dich genauso zu akzeptieren wie du bist – es ist also nur fair deinen Eltern auch etwas Zeit dafür zu geben.

5. Schreibe einen Coming-out Brief an deine Eltern (mit Anleitung)

Ja, wir kennen ihn alle: Den bekannten Coming-out Brief. Tatsächlich ist es gar nicht so ungewöhnlich, dass queere Menschen sich vor ihren Eltern mit einem Brief outen. 2 große Vorteile davon sind, dass du dir wirklich genau überlegen kannst was du schreibst und wie du es formulieren möchtest und die Tatsache, dass man es manchmal einfach nicht “schafft” es den Eltern in einem persönlichen Gespräch zu sagen.

Hier verraten wir dir, wie du deinen eigenen Coming-out Brief verfassen kannst.

  • Mache ihn solang du willst
    Dein Coming-out Brief kann genauso lange – oder kurz – sein wie du ihn haben möchtest. Ein Brief ist die perfekte Möglichkeit deinen Emotionen freien Ausdruck zu verleihen, du kannst also auch erstmal einfach drauf los schreiben und danach nochmal alles logisch sortieren und neu aufschreiben. Ganz egal ob du am Ende eine oder 10 Seiten geschrieben hast – wenn du damit zufrieden bist, dann ist er perfekt!
  • Vergiss die Regeln
    Der Zweck deines Briefes ist deinen Eltern etwas mitzuteilen, nicht einen Grammatik-Preis zu gewinnen. Lass deine Gedanken einfach frei fließen und dich nicht von irgendwelchen Satzbauregeln oder komplizierter Grammatik ausbremsen.
  • Schreibe über Vergangenheit, Gegenwart & Zukunft
    Durch diesen kleinen Tipp kannst du deinen Brief besonders vielschichtig machen. Schreibe darüber wie du dich in der Vergangenheit mit dir selbst gefühlt hast, was es dir jetzt bedeutet es endlich mit deinen Eltern zu teilen und welche Wünsche/Pläne du für deine Zukunft hast.
  • Räume Vorurteile aus dem Weg
    Sollten deine Eltern nicht sehr vertraut mit der queeren Welt sein, dann ist ein Brief die perfekte Möglichkeit dies zu ändern. Gehe auf Mythen, Stereotypen oder verbreitete Irrtümer ein, die deine Eltern haben könnten.

6. Hilfe, meine Eltern sind super konservativ!

Ein Thema, das nach unserer Erfahrung auf jeden Fall angesprochen werden sollte: konservative Eltern! Natürlich ist konservativ nicht gleich gleichzusetzen mit homophob – dennoch gibt es unserer Erfahrung nach immer wieder Probleme beim Coming-out vor Eltern, die sehr an alten Wertevorstellungen festhalten. Solltest auch du sehr konservative Eltern haben, dann haben wir hier einige Tipps für dein Outing.

  • Denke über ihre Erfahrungen nach
    Jeder Mensch hat Gründe für die Art und Weise wie er sich verhält und an was er glaubt. Versuche mit deinen Eltern ins Gespräch zu kommen und ihre Einstellung zu queeren Menschen herauszufinden (falls du sie noch nicht kennst). Wenn du verstehst warum deine Eltern so denken und handeln wie sie es eben tun, kann dir das für dein Coming-out helfen. Du könntest mit ihnen zum Beispiel ins Gespräch kommen in dem du ihnen erzählst, dass sich eine Person aus deinem Bekanntenkreis oder ein Promi geoutet hat.
  • Die erste Zeit wird vermutlich schwer
    Auch wenn wir uns alle ein problemloses Coming-out bei unseren Eltern wünschen, kann es gerade bei sehr konservativen Eltern eher schwieriger sein. Stelle dich mental darauf vor, dass die Beziehung zu deinen Eltern für einige Zeit vermutlich etwas komplizierter wird. Sei dir aber auch bewusst, dass die erste Reaktion so gut wie nie die endgültige ist (v.a. wenn die erste Reaktion auf dein Outing eine negative ist).
  • Lass dich nicht klein machen
    Sollten deine Eltern mit Sprüchen kommen, wie “Warum tust du uns das an?” oder “Aber denk doch mal was andere Menschen jetzt denken”, dann mach dir klar, dass du an nichts Schuld hast. Es ist die Aufgabe deiner Eltern mit dieser Situation klarzukommen und nicht deine dich anzupassen oder gar zu verstecken.